Funde aus der Poltringer Ortsgeschichte – Poltringer „Religionskrieg“
Durch die Zugehörigkeit zu zwei konfessionell unterschiedlich ausgerichteten Herrschaftsbereichen (österreichisch-katholisch Hohenberg und evangelisch Württemberg) ergab sich in Poltringen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert eine spannungsgeladene Situation.
Die nachfolgende Zeittafel ist überwiegend eine vereinfachende Zusammenfassung der sehr schönen Arbeit des in Reusten lebenden emeritierten Professors Dieter Stievermann: „Grenzlagen und Konfessionskonflikte im Ammertal: Poltringen und Reusten in der Frühen Neuzeit“ in „Befreite Erinnerung Teilband 2: Region – Religion – Identität: Tübinger Wege“, S. 51-77, 2017. Wer sich detailliert mit diesem Geschichtsabschnitt befassen will, sei die Lektüre wärmstens empfohlen. Diese Zeittafel ist punktuell ergänzt mit weiteren zur Thematik passenden Daten.
- 1535 Einführung der Reformation in Württemberg
- 1599 Einsetzung eines ersten evang. Pfarrers in St. Stephanus durch den (evang.) späteren Bergschlossbesitzer Jakob v. Ehingen (dadurch Beschwerde über ihn beim Kaiser und wohl folgenloser Haftbefehl)
- 1600 Aufgabe des Frauenklosters bei St. Stephanus
- 1603 Bau des („evang.“) Bergschlosses
- 1608 reichsgerichtliche Prozesse und Vergleich inklusive Religionsfreiheit (damals eine Besonderheit), St. Klemens wird evangelisch, St. Stephanus bleibt katholisch (Einwohner waren damals etwa zur Hälfte kath. / evang.)
- 1618 Beginn des 30 jährigen Krieges
- 1618 kath. Überfall auf (evang.) Bergschloss wg. “Unterdrückung katholischer Untertanen”
- 1634 im 30 jährigen Krieg flüchtet der evang. Pfarrer, evang. Einwohner müssen gehen, sterben oder konvertieren
- 1648 Ende des 30 jährigen Krieges
- 1670 St. Klemens wird von Evangelischen (aus Reusten) aufgebrochen und das Pfarrhaus besetzt
- 1677 evang. Pfarrer: “sollten Lutheraner nach Poltringen ziehen, so würde man sie gewaltig quälen und schlagen” und “in Poltringen zur Kirche zu gehen, das ist vor Gott nicht mehr zu verantworten”
- 1680 in Poltringen 11 evang. Familie (von ca. 110)
- 1707 wieder kath. Besetzung des Pfarrhauses
- 1721 wieder evang. Besetzung des Pfarrhauses nach Tod des kath. Pfarrers (Leiche des Pfarrers wurde dabei Treppe hinuntergeworfen und auf Misthaufen gelegt)
- 1722 Versuch den evang. Mesner zu erschießen
- 1723 evang. Pfarrer traut sich nicht (mehr) zu Backofen, div. Anschläge, Drohungen, Schikanen
- 1731 nach Tod des evang. Pfarrers militärischer Schutz von (evang.) Klemenskirche und Pfarrhaus durch württembergische Miliz
- 1732 evang. Pfarrer lässt kath. Mesner Uhren stellen, “weil dieser tüchtiger sei”
- 1740 Oberndorfer drohen: “entweder wir kriegen eigenen Pfarrer oder wir werden evangelisch!” (ersteres erfolgte dann erst 1791)
- 1750 nur noch Pfarrer- und Mesnerfamilie evang.
- 1750-53 Neubau von St. Stephanus „weil man vom Luthertum umzingelt sei“ und man „und vor Ort sogar eine lutherische Kirche und Pfarrer, mithin die Ausübung der nicht katholischen Religion gegenwärtig ist“
- 1752 kath. Dienstbote schwängert in Reusten reiche evang. Witwe, lehnt für Heirat aber nötige Konversion ab: “auch wenn man ihm ganze Reusten schenke” (es wird daher auf generelles Verbot von Indienstnahme kath. Dienstboten durch Evangelische hingewirkt)
- 1772 dem kath. Pfarrer wurde (nach schriftl. Bestätigung, dass es Einzelfall sei) erlaubt, eine sterbende kath. Frau in Reusten zu besuchen
- 1790 Abriss des („evang.“) Bergschlosses
- 1808 keine evang. Gottesdienste mehr, kurz darauf Verkauf von St. Klemens an die kath. Gemeinde (vom Erlös Bau des evang. Pfarrhauses in Reusten)
Wer hier vertiefende Informationen beitragen kann oder andere Geschichten als „Fundstücke“ beitragen möchte, kann sich gerne bei unserer AG melden (heimatgeschichte ät hwv-ammerbuch punkt de).
Für die AG „Poltringer Heimatgeschichte“, Boris Dieter